The paradox of choice. Oder: Warum dich kein Mensch auf Tinder wirklich heiss macht.
Ständig auf Tinder, viel zu lange am Möbel surfen, 15 grüne Blusen im Warenkorb? Wenn du dich partout nicht entscheiden kannst und deine Wahl auch nicht so sexy findest, liegt das wohl am "paradox of choice".

Ich bin mal wieder auf Zalando (eine moralische und ethische Diskussion um solche Dienste in einem separaten Post) und habe mich im Grunde gut darauf vorbereitet, nichts ins Kaninchenloch der endlosen Auswahl zu fallen: Ich habe mir schon überlegt, dass ich gerne eine grüne Bluse hätte, lange Ärmel, idealerweise Naturmaterialien, fair produziert. Soweit, so gut.
Doch was dann folgt, ist die immer gleiche Geschichte: Ich beginne mit dem Shopping, lege am Ende zehn grüne Blusen in meinen Warenkorb und liebe: keine davon. Irgendwie mag ich diese Blusen nicht, ich habe sie nicht ertastet, ich hatte nichtmal gross Aufwand, um sie zu finden. Und: Es sind schlicht zu viele. Die Auswahl ist zu gross. Das führt nicht nur dazu, dass die einzelne Bluse an Attraktivität verliert, es führt auch dazu, dass ich am Ende, nach einer halben Stunde, irgendwie gar keine Lust mehr habe, diese Blusen überhaupt zu bestellen.
Also mache ich das Fenster wieder zu. Und der Warenkorb bleibt voll. Und ich noch immer ohne neue Kleidung.
Oder aber, was auch oft passiert: Ich bestelle was, es kommt ein paar Tage später bei mir an und auch dort: Überforderung, und vor allem Lustlosigkeit.
Woran liegt das?
Vielleicht am Paradox of Choice.
Das "paradox of choice", auch Auswahl-Paradoxon, Marmeladen-Paradoxon oder Choice overload genannt, bezeichnet in der Entscheidungstheorie der Wirtschaftspsychologie das Problem, dass zu viel Auswahl das Kaufverhalten negativ beeinflusst.
Untersuchungen zeigten, dass zu viel Auswahl bei uns Ermüdung und Desinteresse auslöst. Wir können maximal acht bis 15 Auswahlmöglichkeiten verarbeiten. Bei Mehr sind wir überfordert, frustriert, werden wütend oder brechen ab.
Das Gleiche passiert uns auf Tinder. Wir wischen, wir schreiben drei, vier Mal, zu Beginn ist alles noch aufregend und neu, aber bald schon stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein, eine Müdigkeit. Was sollen wir hier auch finden? Wen alles daten? Mit wem alles schreiben? Manchmal geht diese Lustlosigkeit so weit, dass wir unseren Anstand irgendwo im Null-Bock-aber-eigentlich-mega-Bock-Nirvana verlieren und irgendwelchen Menschen da draussen nie mehr antworten und sie einfach digital liegenlassen, eigentlich nicht so cool, gar nicht unsere Art.
Haben wir zu viel Auswahl, stumpft uns das ab. Und es macht es uns schwerer, wirkliche Freude und Zufriedenheit mit unserer Wahl zu empfinden. Was schade ist. Weil es dazu führt, dass wir das, was wir gewählt haben, im Anschluss gar nicht mehr so sehr geniessen. Nachfolgend habe ich dir einen TED-Talk des bekannten Forschers Barry Schwartz eingefügt, der das Paradox der Wahl anschaulich erklärt.
Die Digitalisierung und unser Wohlstand im Westen haben uns in allen Bereichen unseres Lebens schier endlose Möglichkeiten der Wahl geliefert. Wir haben 40 Pasta-Sorten, Hunderte potenzielle Sexualparterinnen und -partner zur Auswahl, können aus 450 Online-Weiterbildungskursen wählen und aus verschiedensten Morgenroutinen. Eine grosse Auswahl gehört zu unserem moderen Leben dazu. Und doch kann sie überfordern - und uns mehr belasten als uns glücklich machen.
Nachfolgend ein paar Tipps, wie du das Paradox der Wahl schmälern kannst:
1. Bereite dich mental auf die grosse Auswahl vor.
Überlege dir im Vorfeld ganz genau, was du kaufen willst, und wie lange du im Internet oder Geschäft danach suchen möchtest. Nimm' dir einen Timer zur Hilfe.
2. Handle nach deinen Werten.
Welche Werte hast du für dich definiert? Ist es Genügsamkeit, Kreativität, Ehrlichkeit? Was bedeutet ein Handeln nach diesen Werten für dich? Und was bedeutet das in punkto Auswahl und Konsumverhalten? Je stärker du dein Verhalten an deinen Werten ausrichten kannst, desto einfacher wird es dir fallen, auch mal auf etwas zu verzichten.
3. Überprüfe deine eigenen Wünsche und Sehnsüchte.
Auch darauf, ob sie einer emotionalen Befriedigung dienen, die mit dem Kauf nichts zu tun hat. Brauchst du mehr Zuwendung? Ist dir grade langweilig? Fühlst du dich gestresst, hast du zu viel Arbeit? Überlege dir, ob dein Verhalten deine Unzufriedenheit in einem Lebensbereich spiegelt und verändere Schritt für Schritt.
4. Hol' dir Services und Features zur Hilfe, die für dich vorselektieren.
Und stoppe Programme davor, dir die ewige, grosse Auswahl zu liefern. Beispielsweise, indem du auf Webseiten shoppst, die für sich nach Nachhaltigkeitskriterien einkaufen oder, indem du Netflix davon abhälst, nach einer Serie gleich die nächste zu spielen.
5. Nutze dein Netzwerk.
Du weisst nicht, was du heute Abend schauen willst? Dann frag' doch bei Freunden nach, was sie gerade schauen. Informiere dich in den Medien, welche Filme gerade für Aufruhr sorgen oder überlasse die Vorauswahl deinem lokalen Kino.
Mehr zum Thema "the paradox of choice" kannst du nachlesen im Buch von Barry Schwartz. Auch empfehlenswert zu diesem Thema sind die Themenfelder "Minimalismus" und "Existenzialismus". Mehr dazu findest du in der Digital Balance Lab Bibliothek.